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Donnerstag, 11. Februar 2016

Schnittmusterdilema, für 6,90€ bitte hier lang...

Nun, ich saß wie immer auf meinem rosa Ikea-Drehstuhl in meinem kleinen Nähzimmer, schaute aus dem Fenster in den Wald und träumte vor mich hin...ich nähte friedlich seit 15 Jahren mit meiner Nähmaschine das ein oder andere Teilchen und brauchte noch nie ein Schnittmuster, dachte ich. Kissen nähen,- kein SM. Vorhänge für die Nachbarin umnähen,-kein SM. Zum Muttertag die X-te Einkaufstasche nähen,- kein SM.  

Damit kam ich bisher schlank durchs Leben.

Auch seit meine Kinder von mir Hosen, Röcke und Pullis genäht bekamen, ging es gut mit Abpausen in ein bisschen größer oder so, wenn das vorher gekaufte Kleidungsstück von H&M oder C&A zu klein wurde. Einen kleinen Schnaps mehr hier und einen kleinen Schnaps mehr da. Anzeichnen, ausschneiden, nähen, passt. Der Kindergarten verlangte nicht mehr und meine Kinder irgendwie auch nicht. Hauptsache war bisher, der Stoff ist schön bunt und die Klamotte war bequem. Oder?


Dank Facebook und dem Marathon diverser Nähmütter war ich letztens soweit, dass ich mich tatsächlich hatte dazu hinreißen lassen, mich für ein Probenähen zu bewerben.
Ich war so aufgeregt, weil ich dachte, heutzutage muss Mutti doch auch Probenähen " dürfen", wohlgemerkt, dass ich daraufhin mein Curriculum Vitae pimpte. Ich hatte nicht geschummelt, nur um das nochmal klar zu stellen. Aber mit einer gewissen Lebenserfahrung kann man, wenn es notwendig wird, Dinge auch anders beschreiben, als sie vielleicht aus der nüchternen Sicht eines Mannes aussehen würden.

So besaß ich zum Beispiel seit knapp 2 Jahren die Fähigkeit zu plottern. Ok, ich hatte es noch nie getan. Ich verstand einfach nicht, was zu tun war, um den Plotter zu einem Ergebnis zu bewegen. Aber ich hatte die Fähigkeit. Und so war ich eigentlich befähigt digitale Aufnahmen zu erstellen, zu plottern, Applis zu sticken und das alles dank WLAN rasch ins Netz zu stellen. Bloggen konnte ich grundsätzlich eigentlich auch, eigentlich.
Ich schickte also meine Bewerbung ab und bekam außerhalb aller Profi-Probenäher-Sucher eine Zusage von einer Frau, die ich nicht kannte.
Yes, dachte ich. Jetzt bin ich auch Probenäherin und "darf" Probe nähen. Das ganze Prozedere habe ich zweimal durchlaufen. Aufgehört hatte ich, weil ich auch hier die Fähigkeit besaß das Schnittmuster an sich zu korrigieren, aber ich verstand nicht, warum es nicht auch meine Aufgabe war, erst einmal den Text auf Schreibfehler, falscher Grammatik und Satzzeichen zu korrigieren. Danach kam die Ausgestaltung des Textes in ganze Sätze, die von mir verständlich mit sinnvollem Text gefüllt und klar strukturiert wurden. Passend zum jeweiligen Foto.

In der Schule hatte ich gelernt: Subjekt-Prädikat-Objekt

Gut. Das war in Nordrhein-Westfalen. Ich glaub das Schnittmuster kam aus Bremen. Egal. Kleiner Witz, nicht wichtig! 

Nun denn. Ich scheiterte an der Frage, warum ich alleine nur für die Korrektur der Anleitung mehr Stunden investierte, als für das völlig unmöglich nachfolgende Schnittmuster. Seltsam aber auch. Der Schnitt kam mir gleich irgendwie bekannt vor.
Richtig. Es war der Zuschnitt eines Sofakissens. Allerdings nicht in 40x40 sondern in 1,20x1,20 mit 4 Löchern. Kopf, 2 Arme und ein Eingang. Bündchen dran und das SM hieß " Somalia Deluxe XS-XXL", für Damen natürlich. Der Männer und Kinderschnitt würde noch entwickelt werden, aber im Moment sei die Urheberin des XXL-Kissen-Musters so im Stress, wegen der Korrekturen natürlich, da müsste die Nähwelt noch ein wenig drauf warten. Hä?

Dieses SM hab eich tatsächlich einmal käuflich erstanden....Überraschung!

Ich konnte es nicht. Ich brachte es einfach nicht fertig. Die Fähigkeit nicht in die Tischplatte zu beißen, nicht auszuflippen, weil mein schöner Stoff nun aussah wie ein XL-Kissen mit 4 Eingängen, die besaß ich nicht.

Mein Mann verstand die Aufregung irgendwie nicht. Brauchten nicht sowieso immer alle abstehenden Körperteile einen Ein- und Ausgang und der Rest war Füllung?!

Ich möchte an dieser Stelle bemerken, dass mein Mann sonst nicht praktisch veranlagt ist.
Aber das tut hier nix zur Sache.

Ich schickte das SM online zurück und beschimpfte sie Wut schnaubend per FB. Damit war ich aber die Einzige und keine 5 Minuten später nicht mehr Mitglied der Gruppe. Entfreundet! 
Aus die Maus vom Traum "Probenäherin sein zu dürfen". Eine Fähigkeit weniger, dachte ich. 

Nun blieb mir nur noch der Hype mir alle neuen Schnittmuster-Veröffentlichungen zu kaufen oder anders zu besorgen. Anders? Ja keine Ahnung. Das ist ne Fähigkeit! Ich kann nix dafür. 

Einmal in dem Sog des SM-Sammelns eingesogen, kommt man ja nicht mehr raus, oder? 
Ich kaufte also per PayPal bei Dawanda und speicherte in der Dropbox via Link, oder direkt. Kurz darauf reichte natürlich das großzügige Datenvolumen nicht mehr aus, also "gradete" ich die Dropbox "up", natürlich gern für schlappe 99€ per anno. Die wertvollen Schnittmuster mussten ja irgendwo hin und sollten ja auch bleiben. Und auch die Freebooks sowie die Zusammenfassungen weiterer 1000 Freebooks, selbst die spanischen und russischen Freebooks. Alles in die Dropbox. Ich verstand sie textlich nicht, aber es gab ja noch ne Fotoanleitung. Und die Stunden, die ich damit verbrachte, die Dropbox zu sortieren, Freebooks hier, EBooks da und später noch unterteilt in Applis, Plotter-Dateien, To-Do's und so weiter. Ein Wahnsinn und ein klarer Vollzeitjob. Und natürlich ganz zum Schluss die "besorgten Ebooks". Die musste ich ja gesondert im Auge haben. Oder? Aber alles nicht so schlimm. Die Freebooks rissen in der Mischkalkulation mit den anderen Kosten, den Durchschnittspreis für ein fertiges Nähwerk deutlich runter. Hatte ich mir mal ausgerechnet. Keine Frage. Das alles lohnt sich!

Gut soweit. Was stand nun meinem unbeschwerten Nähhobby im Wege? Nichts eigentlich. Jetzt musste ich eigentlich nur noch das perfekte Schnittmuster auswählen, durchlesen, ausdrucken.  Shit, doch nur das SM, nicht auch die Anleitung. Och nö, die Probenäh-Fotos auch noch alle?  40 Seiten in Farbe, sonst kann man das Schnittmuster ja später nicht lesen. Toner leer. Grössenkästchen stimmt nicht. Sollte 5x5 sein, war jetzt aber nur 3,2x3,2... Erstmal posten: "Hilfe, Kontrollkästchen ist zu klein. Woran liegt es?"

Kontrollkästchen war schnell geklärt, neue Farbpatrone gekauft, los ging es endlich. Natürlich erst zwei Tage später. Kann ja nicht jeder Prime Kunde bei Amazon sein und die Dropbox lieferte leider noch keine Patronen aus. Und überhaupt ist die Patrone teurer als der ganze Drucker. Eine Randerscheinung die mein Hobby nicht trügt. Also was soll's. Ich wollte ja nähen. Das Schnittmuster war es wert. War ja immerhin eine lang angekündigte Veröffentlichung durch die Probenäherinnen in allen wichtigen Nähgruppen bei Facebook. Ein "Must have"!  Und die Freebooks rissen es ja auch raus, eigentlich eine voll günstige Angelegenheit.

Jetzt nochmal nur ganz kurz bei FB in mindestens 3 Gruppen posten: Hallo? Ist noch jemand wach? Wie war das mit dem Bündchen bei Jersey? Und wenn da steht im Bruch, dann doppelt? Auf rechts oder auf Links doppelt? 
216 Kommentare verfolgt und gelesen. Jetzt wußte ich zumindest, dass mein Schnittmuster für den Maxi Cosy zu Verlust des Versicherungschutzes führte, wenn mein Kind mit dem Auto in Flammen aufginge. Nicht witzig. Immerhin war der Stoff eine Eigenproduktion und hatte mich bei der Beschaffung Nerven und Geld gekostet. 
Aber jetzt: Geschafft. Stoff ausgeschnitten. 
Mist. Nahtzugabe vergessen. Steht ja auch nirgends. Was heißt denn "NZ nicht vergessen" hier auf dem Vorderteil? Am Ärmel steht "Saumzugabe dabei", watt?

Nach drölfzig Seiten und -"jetzt musst du den Stoff"-Erklärungen, stellte ich fest, es passt nix zusammen und wenn ich es in einer anderen Reihenfolge zusammen genäht hätte, als im Text beschrieben, wäre es schneller, schöner und unkomplizierter gegangen. Und dafür hatte ich nun den Online Einführung Schnäppchenpreis von 6,90€ bezahlt! Ich dachte, halte durch, denke positiv, es hätte schlimmer kommen können. Egal. Weiter geht's.

Nein mal ehrlich!? 
Ich stellte mir die Frage: Welche Voraussetzung musste man generell eigentlich erfüllen, um sich als Profi-Schnittmuster-Ersteller von den "anderen" Schnittmusterkünstlern abzuheben und mit gutem Gewissen 6,90€ verlangen zu können, oder mehr, ohne von den Käuferinnen gelyncht zu werden? Dazu musste man wissen, die Nähbranche lebt von einer ganz speziellen Klientel, Müttern. Als Mitglied dieser Klientel befindet man sich in einer Version der Unendlichen Geschichte auf Niveau des Bachelors. Im Grunde ging es immer darum: Wer hat, der kann, der darf! 
Schwer zu verstehen. Das muss einfach gelebt werden. 

Summasumarum weiß ich heute , ich lege das zu kleine C&A oder H&M Teil auf meinen teuren Kinderstoff, rechne einen Schnaps hier und einen Schnaps dort dazu, schneide das Ganze sauber aus, lege es unter die Ovi und nähe es kurzerhand ordentlich zusammen. Und auch Taschen, Falten, Paspel, Knopfleisten, Bündchen oder Ausschnitte schaffe ich, indem ich mir meinen Schnitt angucke und kurz überlege 😁


Für 6,90€ schicke ich Euch gerne meine Anleitung zum Schnittmuster "frei Schnauze" zu? Online versteht sich. 

Mit diesem SM seid ihr immer Probenäher! Versprochen.
Und den Rest meiner Zeit sitze ich auf meinem rosa Ikea-Drehstuhl in meinem kleinen Nähzimmer, schaue aus dem Fenster in den Wald und träume mich woanders hin...

Viel Spaß! Wie immer stelle ich Eure Variation des SM gern hier mit Foto ein! 

Lieben Gruß
Eure Melle





4 Kommentare:

  1. Hihi. Leider haste Recht. Ich hab schon ganz schön viel Geld für Mist(Schnittmuster) ausgegeben. Mittlerweile gelingt es mir den Lemming in mir zu bekämpfen.
    LG Silvi

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  2. Saubere Sache, du bist klasse!+

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  3. Danke für diese Zeilen, "you made my day" :-))))!

    Ich wünsch dir weiterhin viel Spaß beim Nähen und Träumen

    LG
    Andrea

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  4. Herrlich, ich musste herzhaft lachen bei dieser, doch leider wahren, Geschichte. Bei jedem Satz habe ich mich wieder gefunden. Auch bei einem Probenähen bin ich freiwillig gescheitert, weil ich unförmige Säcke, so ganz ohne teures Schnittmuster bzw. Anleitung, hinbekomme :-)
    Also noch einmal, vielen Dank für die vergnügliche Geschichte.

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